Was ist MVP? Bedeutung, Anwendung und raus aus der BDUF-Falle

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MVP: Definition, Bedeutung und Geschichte

MVP bedeutet: Minimal Viable Product, auf Deutsch in etwa Minimal Brauchbares Produkt. Es ist ein Produkt, dass minmalistisch ist, aber gut funktioniert und über den Prototypen-Status hinausgewachsen ist. Es hat kein Gramm Fett zuviel, aber auch nicht zu wenig Fleisch dran. Das bedeutet: Es ist ein echtes Produkt, das genau das kann, was man als Kunde erwartet. Ein MVP ist weder ein Schmalspur-Produkt noch ein überfettes Produkt, sondern die goldene Mitte – aus Sicht des Kundennutzens heraus.

Die Entfeinerungen gegenüber Maximalprodukten liegen in reduziertem technischen Aufwand, wenig ausgefeiltem Design oder in nicht-automatisierten Prozessen im Hintergrund.

MVPs sind eine bewährte Technik, um den „Return on Risk“ zu maximieren. Es ist also eine Risikomanagement-Technik. Es geht darum, mit möglichst geringem Risiko die bestmögliche Rendite zu erwirtschaften.

Mit einem MVP können Sie sehr gut testen, ob ein neues Produkt vom Mart angenommen wird, bevor man beispielsweise 1 Million Euro in eine App oder 100 Millionen Euro in eine vollautomatisierte Produktionslinie investiert.

Minimium Viable Product ist ein Ausdruck von Frank Robinson1 aus dem Jahr 2001, ihn bekannt gemacht hat Eric Ries, und 2009 (bzw. 2011 im Buch „Lean Startup“) bzw. steht auch viel dazu im 2013er Buch „Lean UX“ von Jeff Gotthelf mit Josh Seiden. Es ist also ein alter Hut.

MVP ist zuerst eine Projektmanagement-Technik, um den Abschluss von (Teil-)Projekten zu beschleunigen. Zentral darin ist auch das Konzept des Definition of Done, also „Wann kann ich mein Minimal-Produkt auf den Markt loslassen“.

Im agilen Arbeiten, speziell in digitalen Projekten, hat sich die Idee der MVPs durchgesetzt. Aufs Online Marketing bezogen ist ein MVP eine Website, eine Kampagne oder ein Funnel, die oder der mit minimalsten Mitteln maximale Performance liefert.

Die Inspiration hinter MVP: die Sharpe Ratio

Die Grundidee hinter MVP ist sogar noch älter, schreibt Robinson: Und zwar der Sharpe-Quotient (engl. Sharpe Ratio) von William F. Sharpe aus dem Jahr 19662. 1994 hat er den Sharpe-Quotienten noch mal überarbeitet3.

Mit dem Sharpe-Quotienten ermittelt man, ob man bei einem Investment risikolos Extra-Rendite erwirtschaften kann (oder ob das Gegenteil eintritt). Ein Sharpe-Quotient von 0 ist neutral, im Plus-Bereich ist die Anlage das Extra-Risiko wert, und im Minus-Bereich erkauft man sich das Risiko zu teuer.

Sharpe hat übrigens 1990 den Wirtschaftsnobelpreis bekommen, im Wesentlichen für seine Arbeit über das Capital Asset Pricing Model (CAPM), welches er 1964 veröffentlichte4.

Was bedeutet MVP im Marketing?

Im Marketing ist MVP ein risikoreduzierter Minimal-Ansatz, mit dem man dennoch die Marketingziele erreicht. Beispielsweise können Sie eine Werbeidee zuerst im kleinen Rahmen in einem Testmarkt schalten. Bei Erfolg geht es dann erst in die Produktion von teuren Werbemitteln, wie TV-Spots oder Buchungen von Influencern.

Beispiel für ein Online-Marketing-MVP

Ihr Unternehmen oder Ihre Marke hat ein neues Produkt oder Angebot. Sie wollen es unter die Leute bringen: Awareness schaffen, Leads geniereren, Sales anstoßen. Glücklicherweise haben Sie sich für agiles Projektmanagement entschieden und wollen die Aufgabe mit einem MVP angehen.

  1. Zuerst brauchen Sie ein Produkt und ein bisschen Markenentwicklung. Wenn es eine digitale Dienstleistung ist, benötigen Sie im ersten Schritt keine fertige Website / einen fertigen Shop mit Shopsystem, Payment, Middlewares und allem Schnickschnack, sondern vielleicht nur eine Landing Page.
    Dort sehen Interessenten das Produkt / das Angebot und können Kontakt aufnehmen und per Kontakt ordern / anfragen. Mit mächtigen Leadgenerierungs-Tools wie HubSpot (das ein CMS beinhaltet), KI-Marketing-Tools und KI-Bildgenerierung lässt sich sowas schnell basteln. Damit das Ergebnis echten Impact hat, sollten Sie sich nicht auf KI-Texte verlassen, und schon gar nicht auf auf KI-Bilder. Hier gilt: Den USP müssen Sie selbst definieren, und zwar im Sinne eines Kundennutzens für die Zielgruppe. Außerdem brauchen Sie vernünftige Bilder, also mindestens Stockfotos. KI kann einem natürlich helfen, und zwar beim Entwickeln von Varianten für A/B-Tests.
  2. Sie wollen diese Landingpage bewerben. Das können Sie mit Native Advertising oder über Google Ads oder Instagram machen – es sollte ein Anbieter sein, mit dem das Targeting exzellent funktioniert.
    Auch hier genügen ein paar Bilder / Mock-ups.
    Und ein bisschen Budget.
    Und vielleicht einen freien Texter, damit der Content in Bezug auf Markenführung, Konzeption und sprachlicher Attraktivität auf Top-Niveau ist.
    Damit testen Sie minimal und innerhalb eines Tages, ob Ihr Produkt am Markt ankommt bzw. ob es Interessenten gibt.
  3. Danach müssen Sie laufend testen: Bei wenig Interesse der Zielgruppen müssen Sie entweder was am Targeting drehen, an der Sprache, den Bildern oder am Produkt.
  4. Wenn sich herauskristallisiert, dass das Produkt ein Erfolg sein wird, können Sie das MVP weiter ausbauen. Die Skalierung kann allerdings manchmal problematisch sein. Dann ist es besser, sich die Prozesse schon vorher in der Konzeption genau zu überlegen. Denn wenn das MVP in Wahrheit „nur“ ein Prototyp war, fängt die Arbeit danach erst richtig an. Es ist immer eine Abwägungsentscheidung, wie groß man loslegt.

Das Gegenteil von MVP: BDUF

Gerade bei großen Kampagnen kommt nach nicht umhin, groß zu denken. An irgendeinem Punkt muss eben der TV-Spot gedreht, die Kampagne geshootet (also fotografiert) und Media gebucht werden – und alle Kanäle müssen gleichzeitig mitbespielt werden, von TV bis zum POS. Noch größer ist der Spaß, wenn ein Markenrelaunch international ausgerollt wird – Sie kennen das.
Da gibt es einfach Deadlines, an denen wichtige Entscheidungen fällig werden.
Deshalb wird oft (immer noch) BDUF-mäßig gearbeitet: Die große Werbemaschine wird angeworfen, und niemand kann sie mehr stoppen. Und das, obwohl am Anfang noch zu viele Unsicherheiten bestehen.

BDUF, das bedeutet, gut nachzulesen bei Wikipedia, Big Design Up Front. BDUF. Also erst das perfekte Design finalisieren, dann die technische Umsetzung. Hat den Vorteil, dass das Design eine Freigabe bekommt. Hat den Nachteil, dass sich jede Undurchdachtheit massiv rächt.

Der Weg zu BDUF: Lang und steinig. Intern werden Schleifen ohne Ende gedreht, fertige Kreativprodukte ausgesiebt und in den Mülleimer geworfen. Das frisst Ressourcen und bringt keine Erfolgsgarantie – trotz teils sehr ausgiebiger Marktforschung.

Vor allem ist BDUF eines: langsam. Wenn Sie sich bei Ihrer Marke Langsamkeit leisten können, ist alles gut. Wenn Sie mehr Agilität suchen: Denken Sie groß. Entwickeln Sie einen bunten Strauß an Assets und kippen Sie diese – messbar – in die Zielgruppen. Das verwässert zwar die Markenwahrnehmung, aber dafür erhalten Sie zügig Resultate.

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BDUF oder MVP: Fettes Featuremonster oder leichter Testballon?

Der Ausweg: Minimum Viable Product (MVP).

Arbeiten mit Minimum Viable Products ist der Gegenentwurf: Sich auf eine minimale (und trotzdem vernünftige) Lösung für den Kern der Herausforderung konzentrieren. Mit ggf. roughen Umsetzungen (z.B. Scribble, Paper Prototype, Clickdummy) so schnell wie möglich in den Test (oder Live) gehen und seine Annahmen überprüfen. Akzeptieren, dass das Design noch nicht perfekt ist. Dass nicht alles durchdacht ist. Aber dafür das Produkt jede Woche weiterentwickeln. Aus den Testergebnissen lernen. Das Produkt verfeinern und verbessern. Nicht für die Tonne arbeiten, sondern für den zukünftigen Erfolg. Und dran denken: Sokrates hatte damals auch nicht unrecht mit „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“

Ein MVP kann ein Prototyp sein, muss es aber nicht

Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein neues Auto auf den Markt bringen. Da die Investitionen in Design, Teilefertigung und Produktionslinie sehr hoch sind, müssen Sie sicher sein, das Geld nicht aufs falsche Pferd, OK, Auto, zu setzen.

Ein MVP kann hier eine Kleinserie oder Mittelserie sein.

Auch hier gibt es Beispiele:

  • Das erste Produkt von Tesla war der Roadster. Um sich das wirklich Teure (bzw. Kapitalintensive) an der Autombilherstellung zu sparen, nämlich den Karosseriebau, wandte man sich an Lotus. Auf Grundlage eines fertigen Autos, der Elise, wurde der Tesla Roadster entwickelt. Am Ende blieben nur wenige Gleichteile übrig, wie die Windschutzscheibe5, aber erstens hatte man einen Engineering-Partner und zweitens einen Produktionpartner. Dafür war das Grunddesign schon vorgegeben. Außerdem bestanden die „Karossierebleche“ aus Carbon, die man in Kleinserie einfacher herstellen kann als Teile aus Stahl oder Alu (da man keine Presswerkzeuge braucht).
  • Als Toyota sein erstes „Großsserien“-Wasserstoffauto, den Mirai, auf den Markt brachte, wurde ein anderer Weg gewählt. Der MVP-Ansatz wurde hier in der Produktion umgesetzt: Von außen ist das Fahrzeug ein hypermodernes Großserienfahrzeug, aber es wurde zu Beginn in Handarbeit gebaut – ohne dass es danach aussah. 3 Fahrzeuge liefen anfangs täglich vom Band6, ohne Fließband und ohne Roboter. Die lackierte Karossierie kam allerdings aus der Fließbandproduktion. Man ging also in Teilen in die Zeit vor Henry Ford zurück, mit dem die Fließbandfertigung zum weltweiten Standard wurde. Der Flaschenhals hier war die Produktion der Brennstoffzelle, die von Hand montiert wurde. Auf diesem Weg konnte das Fahrzeug früh auf den Markt gebracht werden, bevor eine (voll-)automatisierte Produktionsanlage fertig war.

MVP für den Produkt-Launch.

Ein Unternehmen entscheidet sich, einen neuen Service zu starten, den man übers Internet buchen kann.
Traditionellerweise nimmt man sich ein paar Wochen Zeit, um die komplette Website dafür zu bauen, Kampagnen zu entwickeln und alles bis ins Detail durchzuplanen und abzusegnen. Das volle Paket.
Mit einem agilen Ansatz und MVPs geht man ein bisschen demütiger an die Sache dran: Wer kann mit Bestimmtheit sagen, dass das Produkt in dieser Form überhaupt eine gute Idee ist? Das lässt man besser die Konsumenten entscheiden. Und launcht nur eine Landing Page mit Sign-up-Funktion. Wenn’s die Leute interessiert, werden sie sich registrieren. Über einen E-Mailing-Anbieter wie Cleverreach* können Sie die Leads dann einsammeln und sie später kontaktieren.
Wenn niemand das Produkt haben will: Lieber übers Produkt nachdenken.

MVP: Bedeutung in Sport & Gaming – Most valuable player

Im Sport, vor allem im Baseball, aber auch im Gaming, ist der „MVP“ der „Most valuable player“. Irgendeine Jury kürt nach einem Spiel die Person auf dem Platz, die für das Team am wertvollsten war – durch Leistung in welcher Art auch immer. Das dient vor allem der Selbstdarstellung der Kommentatorenriege, die nicht selbst auf dem Platz steht bzw. mitdaddelt.

Kann man diese MVP-Definition auch aufs (Online-)Marketing übertragen? Selbstverständlich – und zwar zur Fokussierung auf die voraussichtlich wertvollsten Maßnahmen.

Vorschlag: Denken Sie sich ein komplettes Team aus Ideen für Minimum Viable Products zusammen. Manche sind inhaltlich defensiver Natur, manche sind Allrounder und manche sollen aggressiv scoren.

Bewerten Sie diese MVPs wie Spieler eines Teams im Spitzensport. Wer könnte sich als besonders wertvoll herausstellen? Kann ein offensiver Ansatz Zielgruppen vergraulen? Ist ein defensiver Ansatz zu träge für schnelle Ergebnisse? Oder ist ein Allrounder-Ansatz zu sehr Wischi-Waschi?

Wenn Sie dann den MVP unter den MVPs gefunden haben, können Sie vielleicht erfolgreicher durchstarten.

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Über den Autor

Stefan Golling, Köln. Seit 2011 Freelance Creative Director, freier Texter, Creative Consultant und Online-Marketing-Berater mit Kunden von Mittelstand bis S&P 500. Erfahrung: 1998 mit Radiowerbung in Stuttgart gestartet, 2000 als Junior-Werbetexter zu Publicis München, 2001 Counterpart Köln, 2002 als Copywriter zu Red Cell Düsseldorf (heißt heute Scholz & Friends), dort ab 2007 Creative Director.

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* Affiliate-Link

  1. https://web.archive.org/web/20160525101214/http://www.syncdev.com:80/minimum-viable-product/ ↩︎
  2. Sharpe, W. F. (1966). Mutual Fund Performance. The Journal of Business39(1), 119–138. http://www.jstor.org/stable/2351741 ↩︎
  3. Sharpe, William F. (1994). „The Sharpe Ratio“The Journal of Portfolio Management21: 49–58. doi:10.3905/jpm.1994.409501. ↩︎
  4. Sharpe, W.F. (1964), CAPITAL ASSET PRICES: A THEORY OF MARKET EQUILIBRIUM UNDER CONDITIONS OF RISK*. The Journal of Finance, 19: 425-442. https://doi.org/10.1111/j.1540-6261.1964.tb02865.x ↩︎
  5. https://www.tesla.com/de_de/blog/mythbusters-part-2-tesla-roadster-not-converted-lotus-elise ↩︎
  6. https://www.automotivemanufacturingsolutions.com/joining/making-a-mirai-cle/35985.article ↩︎

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